Mit Beginn der 4. Klasse änderte sich mein Leben schlagartig. Ich wohnte nun nicht mehr in Großenhain bei meiner Oma, sondern – für gut sechs Wochen bis Mitte Oktober 1976 – in Berlin und zwar im Prenzlauer Berg und ging dort auch zur Schule. Meine Mutter, die in Strausberg arbeitete, und ich wohnten in der Kollwitzstraße 80. Es war ein typisches Berliner Hinterhofhaus, eine sogenannte Mietskaserne im Herzen Berlins, im Berliner Kiez.


So wie diese Häuser – wohl in den 60er Jahren – sah auch das Haus mit der Nummer 80 in etwa aus.
Für mich als 10-jähriges Kind brachte dieser jähe Wechsel von Sachsen nach Berlin die schlimmste Zeit meiner Kindheit, doch Gott sei Dank währte sie nur wenige Monate. In meiner Erinnerung ging ich nur wenige Meter aus dem Haus zur nächsten Straßenecke und war dann schon in der damaligen 15. POS „Wilhelm Böse“. Ob es wirklich diese Schule war, weiß ich nicht mehr, aber ich weiß, daß es ein finsterer, rießengroßer Back- oder Ziegelsteinbau war. Die Schule gibt es immer noch und sie heißt jetzt „Grundschule im Hofgarten“ und sieht immer noch finster aus.

In den Herbstferien 76 zogen wir dann endlich nach Strausberg, wo meine Mutter eine Dachwohnung in der Paul-Singer-Straße 1 bekam. Es war eine einfache, kleine Wohnung, aber es reichte. Und ich kam in die POS „Bruno-Kühn“, die ich bis zum Ende der 7. Klasse besuchte.

Viel leichter als in Berlin waren die ersten Monate für mich auch hier nicht, denn Strausberg ist eine Hochburg der NVA gewesen und als Kind einer alleinerziehenden Mutter gehörte man, wenn überhaupt, nur dem 3. Stand an. Das niedrigste, was einem dort auf Schritt und Tritt als Dienstgrad begegnete, waren Oberstleutnants; in unserem Hauseingang wohnten gleich zwei Generale. Jedoch konnte ich mich mit einem anderen Jungen anfreunden, welcher ebenfalls erst Anfang der 4. Klasse in diese Schule kam und auch nur bei seiner Mutter aufwuchs. Wir waren oft auf dem sogenannten Schießplatz, einem Areal nahe eines NVA-Übungsgeländes, unweit der Bahngleise von Berlin Richtung Küstrin. Dort fingen wir Eidechsen und setzten diese in meine Terrarium, wovon meine Mutter gar nicht begeistert war. Und eines Tages fanden wir die Überreste einer Leiche auf den Bahngleisen, aber wann genau das war, weiß ich nicht mehr. Es war wohl ein Selbstmord. In den nächsten Jahren kam ich dann einem Geschwisterpaar näher. Beide, vor allem die Schwester, trugen ungewöhnliche nordische Namen. Befreundet waren wir wohl nicht, aber mit dem Jungen verbrachte ich viele Stunden, denn er brachte mir das Schachspielen bei und von ihm habe ich dann wohl auch meine Leidenschaft für die Mathematik. Er war ein hervorragender Schachspieler und ich am Ende so gut, daß ich ihn regelmäßig schlug und bei der inoffiziellen Schulmeisterschaft einen 5. Platz belegte. Heutzutage kenne ich nicht einmal mehr die gesamten Regeln des Spiels. Und obwohl der Vater der Geschwister ein Oberst war, waren beide, so wie auch ich, Außenseiter in der Schulklasse, welche aus zwei Cliquen bestand. Die eine aus den Kindern, deren Väter Oberste und aufwärts waren und die andere, deren Väter eben nur Fußvolk waren. Richtige Freunde, so wie Udo in Großenhain, fand ich in Strausberg nie. Bedauert habe ich das bis heute nicht, denn letztendlich hat die Zeit gezeigt, auf was es im Leben ankommt und Geld, Macht, Gier und Egoismus sind keine guten Voraussetzungen für wahre Freundschaften.
Im Jahre des Herrn 1980 zogen wir in Strausberg um; aus der Vorstadt in die Stadt, in die Philipp-Müller-Straße 21, und für mich bedeutete das einen erneuten Schulwechsel. Wie es weiterging, lesen Sie im Teil 2.